Die Protestbewegung in der Türkei muss einen weiteren Toten in ihren Reihen verkraften. Der 22jährige Ahmet Atakan wurde am Dienstag Abend während einer Protestkundgebung in der türkischen Stadt Antakya von einer Gasgranate getroffen und verstarb unmittelbar danach im Krankenhaus.
Offizielle Stellen hatten anfangs behauptet, dass der Junge Mann an den Folgen eines Sturzes aus großer Höhe gestorben sei, aber Zeugen belegen, dass Ahmet Atakan von einer Gasgranate, die aus zehn Metern Entfernung abgeschossen wurde, am Kopf getroffen wurde.
Ahmet bei einer Demonstration gegen Polizeigewalt getötet
Ahmet hatte an einer Protestveranstaltung in der südlichen Stadt Antakya teilgenommen, die sich gegen das brutale Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten in Istanbul richtete. Dort unterstützten Menschen den Protest einer Familie, deren vierzehnjähriger Sohn Mehmet Ayvalitas am 15. Juni von einer Gasgranate getroffen wurde und seitdem im Koma liegt. Der Junge hatte gerade ein Brot gekauft und war auf dem Weg nach Hause. Die Eltern und die Nachbarschaft forderten auf der Demonstration in Istanbul die lückenlose Aufklärung und die Bestrafung der Verantwortlichen. Der Protestmarsch sollte am Gerichtshaus in Istanbul enden, wurde aber von der Polizei verboten und mit Wasserwerfern und Tränengas auseinandergetrieben. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen bis in die späten Abendstunden. Der Protest breitete sich auf die Städte Ankara und Antaykya aus, wo Trauernde an der Stelle des Unglücks eine Gedenkstätte mit Blumen dekorierten. Die teils heftigen Auseinandersetzungen halten weiter an.
Protestbewegung neu entflammt
Nach einiger Zeit der Ruhe meldet sich die Protestbewegung seit Anfang September wieder zu Wort. Die ersten Auseinandersetzungen entzündeten sich ähnlich wie zu Beginn der Auseinandersetzungen am Taskim Platz, an einem geplanten Bauprojekt der Regierung Erdogan in Ankara. Auf dem Gelände der Technischen Universität für den Mittleren Osten (ODTÜ) kommt es schon seit Wochen zu Zusammenstößen zwischen Studenten und Polizei. Anlass sind Pläne der Stadt, eine Schnellstraße durch den Campus zu legen. Der vorhandene Baumbestand wurde abgeholzt. Der friedliche Protest dagegen wurde auch hier mit unangemessener Gewalt von der Polizei attackiert.
„Gesindel“, „Pack“ und „Terroristen“
Der Premier wird auch diese Gegenmeinungen nicht wahrnehmen wollen – stattdessen reagiert die Politik erneut mit einer Eskalation staatlicher Gewalt, mit Angst und Einschüchterung. Erdogan wird auch jetzt die Demonstranten „Gesindel“, „Pack“ und „Terroristen“ nennen, um so zu versuchen, dem zivilen Protest, den Rückhalt in der Bevölkerung zu nehmen.
Im Laufe der Auseinandersetzungen um den Taksim Platz wurden neben Gründungsmitgliedern der Taksim-Solidarität auch Anwälte, Ingenieurinnen und Architekten festgenommen, die sich kritisch zu den Neubauprojekten der Regierung äußerten. Darüber hinaus hat die AKP-Mehrheit im Parlament in aller Eile ein Gesetz verabschiedet, das der Architektenvereinigung künftig die Mitsprache an staatlichen Großbauprojekten verbietet.
War es nicht so, schrieb das Handelsblatt in einem Leitartikel, dass Erdogan sich vor einiger Zeit nach anfänglichem Zögern auf die Seite der unterdrückten Völker schlug, die um Demokratie und Freiheit kämpften? Den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak mahnte er zum „Aufbau einer neuen Demokratie. Seinem Freund Assad riet Erdogan, er solle auf sein Volk hören, wenn er nicht wie Muammer al-Gaddafi enden wolle.
Protest in Berlin – Die Zeit bleibt einen Augenblick stehen
In einer spontanen Versammlung demonstrierten am Dienstag Abend 100 Menschen unter der Forderung „ Stoppt den Staatsterror in der Türkei“. Sie erinnerten auf Schildern auch an die Todesopfer, die bisher in der Türkei seit Beginn der Auseinandersetzungen um den Taskim Platz ihr Leben lassen mussten. Der Fotograf Yusuf Beyazit dokumentierte mit einer Fotoserie den Soldiaritätsprotest in Berlin Kreuzberg. Mehr auf SKK dazu hier
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Fotos von den Protesten in der Türkei, der Beerdigung von Ahmet Atakan in Antakya und der Baumfällung beim Straßenbauprojekt in Ankara
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